SCHICKSAL assistieren könne beim Aufgaben korrigieren sowie Problemen mit Englisch oder Französisch? Noch so gerne ging ich ihnen zur Hand. Eine andere Familie kam ebenfalls auf mich zu, dort konnte ich den Kindern vor allem psychologische Unter- stützung geben. Zudem meldete ich mich bei der Gemeinde Burgdorf für Schlossführungen an. Dort lernte ich wieder ein paar Leute kennen. Als Nächstes entschloss ich mich, bei der Aktion «Adventsfenster» mitzu- machen. Das bedeutete, dass ich je- den Abend aus dem Haus ging, die geschmückten Fenster anschaute und mir Mühe gab, mit den Leuten in Kontakt zu treten. Sechs Monate nach dem Tod meines Mannes fand ich, dass ich mich noch besser integrieren müsse. Eigent- lich wollte ich am liebsten zurück nach England. Mein Mann hatte mir jedoch ans Herz gelegt, aufgrund des schlechten Gesundheitssystems nicht dorthin zurückzukehren. Es war ihm wichtig, dass ich wieder einen Platz finde in dem Dorf, ich dem ich aufgewachsen bin. Also fasste ich mir ein Herz und ging zum ersten Mal nach langen Jahren an eine Klassen- zusammenkunft. Dort traf ich einen alten Schulfreund wieder. Zwei Mo- nate nachdem mein Mann gestor- ben war, hatte er seine Frau an Krebs verloren. Das schweisste uns zusam- men und seither verging kein einzi- ger Tag, an dem wir uns nicht trafen. Ich wollte mir nicht erlauben schon wieder glücklich zu sein Zuerst litt ich sehr. Es ist wahnsinnig schwierig, sich nach so vielen Jahren mit derselben Person auf einen an- deren Menschen einzulassen. Wahr- scheinlich hatte ich auch ein schlech- 6 EXIT-Info 1.2024 tes Gewissen. Ich wollte mir nicht er- lauben, sechs Monate nach dem Tod meines Mannes schon wieder glück- lich zu sein. Loslassen und akzeptieren Innert sechs Monaten konnte ich mich aus dem tiefen Loch, in dem ich mich befand, herausholen. Mit Un- terstützung von vielen lieben Men- schen und viel Selbstdisziplin. Niemand macht das aus einer Laune heraus Ich bin immer noch daran, zu lernen, in der Schweiz zufrieden zu sein. Ich lebe wieder in meinem Elternhaus, wo ich aufgewachsen bin. Hier muss ich auch mit der Vergangenheit klar- kommen und damit, wie ich erzogen worden bin – äusserst streng, nie war ich gut genug. Nachdem mein Mann gestorben war, hat mich das wieder sehr belastet. Diese Stimmen sind immer noch da, ich muss sie über- spielen, auf die Seite legen. Vor al- lem aber muss ich lernen, mich selbst gern zu haben. Mein Mann hat mir immer viele Komplimente gemacht und Aufmerksamkeit sowie Anerken- nung geschenkt. Dass ich hochsensibel bin, macht mir das Leben nicht einfacher, weil ich alles so empfinde. Ich denke oft: «My God, life is a struggle», es geht immer auf und ab. Ich merke jedoch, dass meine Gefühle mittlerweile weniger tief nach unten gehen, da- für aber auch weniger hoch hinaus. Mehr Ausgeglichenheit ist gut für mich. Ich bin grosszügiger geworden mir selbst gegenüber, nicht zuletzt dank meinem neuen Partner, der Meister im Improvisieren ist und vie- les lockerer nimmt als ich. Mit dem Freitodbegleiter meines Mannes bin ich immer noch unregel- mässig im Kontakt. Die Telefonate mit ihm waren und sind für mich eine grosse Unterstützung. Er findet es bewundernswert, wie ich zurecht- komme und meint, er rufe mich ger- ne an, weil ich ihm immer etwas er- zähle, was er nicht erwartet hat. ich Körperlich bin ich mit 78 Jahren glücklicherweise sehr gesund, auch weil immer darauf geachtet habe. Jeden Tag mache ich weiterhin zweimal Nordic Walking. Mit mei- nem Freund gehe ich oft wandern, am Abend kocht er für mich und wir hören zusammen Musik. Wir lernen, uns aneinander anzupassen. Einen Tag machen wir, was er gerne macht und umgekehrt. Ich lese immer noch furchtbar gerne, am liebsten Bücher über Psychologie. Seit über einem Jahr bin ich einmal in der Woche Le- sementorin in der Bibliothek. Gegen- wärtig betreue ich ein achtjähriges albanisches Mädchen, das Schwie- rigkeiten hat mit Lesen. Das ist jetzt mein Leben. Der Tod meines Mannes brachte mich in eine Position, in der ich mit mir allein zu- rechtkommen muss. Wenn ich daran zurückdenke, wie er sterben konnte, bin ich immer noch froh. Es war eine Erlösung für ihn. Sich selbst bei voller Klarheit zu töten, braucht ungeheu- erlichen Mut. Niemand macht das aus einer Laune heraus. Man muss diese Entscheidung respektieren. Für diejenigen, die sterben, ist die Akzeptanz der Angehörigen enorm wichtig. Es hilft, frühzeitig darüber zu reden. Denjenigen, die zurückblei- ben, rate ich: Holt euch rechtzeitig professionelle Unterstützung, auch wenn diese dann nur für eine kurze Zeit nötig ist. Niemand kann voraus- sehen, wie man reagiert, wenn ein geliebter Mensch stirbt. AUFGEZEICHNET VON MURIEL DÜBY