einfach keine Zeit zu sterben. Ich überlege mir, wann ein guter Termin dafür wäre. Im Mai geht mein Sohn auf einen Segeltörn, im Juni wäre für mich ideal — noch keine Hitze, nicht mehr lange warten und die Familie ist noch nicht in den Ferien. «Bin ich sterbereif?» frage ich mich manchmal, wenn es etwas besser geht. Aber ich fühle mich bereit für den Ab- schluss mit dem Parkinson. Ich verschwinde und lasse ihn zurück (eigenartiges Bild). Immer wieder taucht der Ge- danke auf, es sei, wie wenn ich eine weite Reise antreten möchte ... aufräumen, packen, Abschied nehmen ... und weg. Ob die Familie traurig ist, ob ich selbst traurig bin, interessiert mich gar nicht. Es ist einfach so und richtig so. April 2024 Ein gutes Leben Wie fühle ich mich? Zwiespältig. Einerseits ist da eine gros- se Erleichterung, andererseits eine starke Anspannung, um die verbleibende Zeit durchzustehen. Immer wieder kommt das Bild der grossen Reise, die alles verändern wird. Wenn ich an meine Familie oder Bekannten denke, so bin ich vor allem dankbar, eigentlich gibt es keine schlechten Erinnerungen, aber viele gute. Ja, es war ein gutes Leben und ich wünsche mir einen würdigen Abschluss. Dir, Alex, bin ich besonders dankbar. Du hast mir eine neue Welt ge- zeigt und wir haben eine reiche Zeit zusammen verbracht. Leider gehen wir jetzt getrennte Wege. Es wird so sein, dass man sein Schicksal allein beenden muss. April 2024 Ich ertappe mich beim Planen Es ist Frühling, fast sommerlich warm und es blüht überall. Lebensfreude pur. Auch ich werde angesteckt und ertappe mich beim Planen für den Garten. Zwischenzeitlich geht es besser und ich kann einiges tun. Zwar am Stock und müh- sam, aber es geht noch. Aber dann kommen wie aus dem Nichts die Blockaden oder die Schüttelattacken. Dann sit- ze ich da wie ein Häufchen Elend und lasse mich schütteln. Wenn mir jemand in solchen Momenten ein EXIT-Medika- ment reichen würde, ich nähme es dankbar und ohne zu zögern. Mai 2024 Loslassen Es naht. Ich bin aktiv, fast hyperaktiv, es ist auch eine Art Flucht in die Aktivität. Die Wochen fliegen dahin und der SCHICKSAL Sommer kommt. Ich befürchte jeden Tag eine Verschlech- terung und dass ich nicht zu Hause sterben darf. Will ich gehen? Eigentlich nicht. Will ich so weiterleben? Eigentlich nicht. Die Situation ist sehr unbefriedigend. Alex leidet, ich sehe es. Er sagt mit dem Verstand Ja, doch im Herzen sagen wir beide Nein und können es nicht ändern. Die Harmonie ist weg, das Pflichtgefühl dominiert. Ich möchte gerne noch über den Tag X hinaus sorgen und dirigieren. Lass los, muss ich mir sagen. Einerseits geht es schnell, es sind nur noch Wochen, anderseits kann ich es kaum erwarten. Es wird endgültig sein. Mai 2024 Gedanken während der Wartezeit Eigenartig, aber ich bin nicht mehr traurig oder depressiv wie vor einem Jahr, als ich merkte, es wird unkontrollierbar. Ich konzentriere mich aufs Abschiednehmen, Aufräumen, ein ganz natürlicher Prozess. Immer öfter bin ich blockiert. Entweder kann ich meine Füs- se nicht bewegen oder aber ich führe einen Veitstanz auf und torkle herum. Ich muss jeweils schnell absitzen können und mich ruhig verhalten, bis die Muskelwildheit abflaut. Es verleidet mir und Alex gewaltig. Ich finde kein Rezept. Der Überlebenstrieb ist sehr gross und zentral, eigent- lich lebe ich gern, aber ohne Parkinson. Nach 32 Jahren Auflehnung gegen Parkinson gebe ich auf, ich ziehe den Kürzeren. Juni 2024 Letzter Ausblick Ja, wohin blicke ich. Ins Unbekannte. Bei vielen Aktivitäten denke ich, es ist das letzte oder zweitletzte Mal, dass dies oder jenes geschieht … Macht es mich traurig? Vielleicht ein wenig wehmütig, aber es stimmt für mich. Der Schluss- punkt naht, es ist gut so. Wir haben es nochmals durchge- sprochen, die Alternative hat keine positiven Seiten. Ich will nicht in einer Institution gepflegt werden. Der Kontakt zur Familie würde künstlich und verwässert, würde zur Pflicht – nein danke. Ich kann loslassen, immer öfter denke ich, es ist mir gleich, wie es weiter geht, andere werden ent- scheiden, die Last der Verantwortung fällt ab – wie schön. Nun habe ich noch drei Wochen. Ich sehe mit Ruhe dieser Zeit entgegen, ich muss nichts mehr, ich darf noch einiges. Wenn uns das Müssen zum Dürfen wird, wird es uns ein Be- dürfnis! Wie sehr stimmt dieser Aufsatzspruch heute. Soll auch Ihre Geschichte hier stehen? Melden Sie sich bei info@exit.ch EXIT-Info 4.2024 5