MITGLIEDERFORUM INFO 2.22 M a i V e r e i n s v e r s a m m l u n g i m 2 0 2 2 i c h « V o l k s h a u s » Z ü r a m 2 1 . i n e b i s o d e r o n l 2 0 2 2 M a i a m 1 8 . Yves Müller Schicksal: 40 Jahre lang gekämpft Jürg Wiler: Auf sein Wort ist Verlass Porträt: Keine Angst vor dem Tod Philosophie: Verzaubert vom Unperfekten VV: Lesen Sie alles Wichtige in diesem Heft Seite 4 bis 6 Seite 8 bis 9 Seite 14 bis 16 Seite 36 bis 37 Seite 17 bis 35 Zum Thema Altersweisheit («Info» 2.22, Seite 7) 2020 – i warte Scho bini achzgi, nid zum gloube, ischs derzue ächt abergloube, wenn me jetze dööu ghört sääge: d’auterswysheit gubs z’erlääbe. Weiss nid rächt, wi nis söu ha, mi dunkts, die chömm bi mir nid aa. I warte zwar, nid ersch sit fäärn, au daag hoffi, dass si chääm. Ernst Staub, Derendingen Memento senectutis – Gedenke des Altseins (verfasst anlässlich meines 102. Geburtstags am 18.2.2022) Memento mori – Gedenke des Ster bens – diesen Wahlspruch kenne ich seit Jahrzehnten und glaube, ihn schon immer beherzigt zu haben. Aber wenn man so lange mit die sem Warnlicht gelebt hat und noch nicht gestorben ist, so taucht eine neue Frage auf. Ich meine nicht die zentrale Frage «Was hast du mit dei nen geschenkten Jahren gemacht?», sondern diese: Wie findest du dich in der heutigen Welt zurecht? Und damit, dass du – mit einer einzigen 28 Ausnahme – keine Altersgenossen mehr hast, mit denen du ein «Weißt du noch?» pflegen kannst, das sich auf die Zeit deiner Kindheit bezieht, die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg? Keine Klassengenossen mehr, mit denen du über die Lehrer reden kannst, die wir hatten, über die Rekorde in Sport und Luftfahrttech nologie, die wir damals bewunder ten? Der Weltkrieg, von dem unsere Eltern erzählten, war vorbei, es war jetzt Friede. Niemand ahnte, dass der schreckliche Weltkrieg – kein Mensch nannte ihn den ersten – nur ein Vorspiel zu noch schreckliche rem Geschehen war. Es gab ja jetzt den Völkerbund, mein Vater hielt Vorträge darüber, Krieg war Ge schichte. Ich fühlte mich in meiner Schulzeit sogar irgendwie benach teiligt, weil ich keine Geschichte mehr erlebte … Über diese Zeit, zurück bis in die zwanziger Jahre, weiss ich noch recht viel zu erzählen – mehr als über manche späteren Jahre. Von meinem 14. Lebensjahr an, nach 1933, habe ich auch Tagebuchnoti zen gemacht, die ich jetzt gerne lese. Aber von «Altersweisheit» merke ich nicht viel – eher stel le ich fest, dass ich imstande bin, dieselben Fehler wie früher zu begehen. Die Ausnahme, von der ich oben sprach, ist eine Schulka meradin, welche am 1. Septem ber 1939, unse rem allerletzten Schultag vor der Matur, mit mir im gleichen Klassenzimmer sass. Es war der Tag, an dem man in den Mittagsnachrichten Hitlers Rede an das deutsche Volk hörte, mit der er seinen Spruch «Seit heute Morgen wird zurückgeschossen» in die Welt brüllte. An jenem Tag marschierte er ohne Kriegserklärung in Polen ein, bevor stand der Zweite Welt krieg, und für uns der Aktivdienst. In der Zeit meines Lebens ist so viel epochal Neues in die Welt gekommen, wie kaum je zuvor in einem Menschenalter. Man denke nur an Begriffe wie Kunststoffe, Fernsehen, Atomenergie, Rechen maschinen, Internet, Weltraum fahrt, alles Errungenschaften der Zeit meines Lebens. Sie haben das Alltagsleben der ganzen Mensch heit tiefgreifend verändert. Ich legte nie grossen Wert darauf, alle Neue rungen mitzumachen, war und bin diesbezüglich eher träge. Soweit ich Neues brauche, lasse ich mich ger ne von einem Enkel belehren oder von meinem Freund Fred Stauffer aus Huttwil: Er ist es, der mir den Computer geschenkt hat, auf dem ich dieses schreibe. Die EMail Korrespondenz ist mir überaus nützlich geworden, darauf kann ich nicht mehr verzichten. Es ist in Ordnung, dass ein hun dertster Geburtstag freudig began gen und mit einem Fest gefeiert wird. Das habe ich vor zwei Jahren ja auch gemacht mit einem Famili enfest auf dem Bantigerturm. Dem gegenüber wird ein 101. oder 102. Geburtstag mehr oder weniger bei läufig zur Kenntnis genommen. Mir war das so gerade recht. Ich emp finde es manchmal fast als peinlich, als so alter Knabe immer noch hie sig zu sein – und kein Fall für EXIT, weil noch bei voller Gesundheit. Wie findest du dich in der heutigen Welt zurecht? Wenn ich von meinen Enkeln ge fragt werde, was ich denn gemacht hätte, so sage ich ihnen: Nichts Be sonderes. Von meinen Eltern habe ich offenbar gute Gene bekommen und im Laufe des Lebens von For tuna sehr viel Glück. Da ist keiner lei Verdienst im Spiel. Aber etwas könne man schon auch durch sein Verhalten beitragen. Ich gebe ih nen dann folgende drei Ratschlä ge: 1. Trinke viel Milch! 2. Meide Rolltreppen! 3. Treibe nicht zu viel Sport! – «Nicht zu viel», das ist eine Maxime, die ich im Griechisch unterricht mitbekommen und mir für das ganze Leben hinter die Oh ren geschrieben habe. Anders aus EXIT-INFO 3.2022