PORTRÄT PORTRÄT «Ich bin EXIT-Mitglied, weil …» Für meine EXIT-Mitgliedschaft gibt es verschiedene Gründe. Schon die Tatsache, dass EXIT im Falle mei- ner Urteilsunfähigkeit die Vertre- tungsperson in meiner Patienten- verfügung unterstützt, falls das Behandlungsteam meine dokumen- tierten Wünsche ignorieren sollte, beruhigt mich ungemein. Natürlich ist mir bewusst, dass das, was in meiner Verfügung steht, dem be- ruflichen Ziel der ärztlichen Per- son widerspricht. Sie oder er will mein Leben erhalten. Es darf nicht sein, dass ich unter ihren Händen wegsterbe. Dafür habe ich sogar Verständnis. Auch dafür, dass viel- leicht versucht wird, bei einer eher günstigen Prognose die Person um- zustimmen, die meinen verfügten Wünschen unbedingt nachkommen will. In der heutigen Spitzenmedi- zin ist tatsächlich vieles möglich, doch der immaterielle Preis ist zuweilen so hoch, dass ich ihn nicht bezahlen will. Es ist meine Überzeugung, dass ich dann, wenn der Tod anklopft, auf ganz natürliche Weise sterben möchte. Das tönt ja fast, als ob ich auf ihn war- ten würde! Aber das tue ich nicht. Ich lebe sehr gerne, habe sogar mit meinen bald siebzig Jahren manch- mal das Gefühl, mein Leben werde erst jetzt so richtig leicht und span- nend. Mir kommt alles Mögliche in den Sinn, das ich noch anpacken, erleben, schaffen könnte. Begleitet wird dieses Gefühl von einer gros- sen Lust zum Aufbruch und dem Bauchgefühl, dass ich alle Zeit der Welt habe, diese Vorhaben auch in die Tat umzusetzen. Da ist aber auch diese Ungewiss- heit, dieses Geheimnis: Wir wissen nicht, welches Schicksal uns heute, morgen oder irgendwann erreicht. Wir wissen nicht, wie wir im ge- gebenen Moment reagieren. Wenn 26 Marianne Bachmann möchte die Freiheit haben, ihren Lebenskreis selber zu schliessen – dann, wenn es für sie stimmt. ich starke Bauchschmerzen habe und die Ärztin eine Blinddarment- zündung diagnostiziert, ist die Ent- fernung des Blinddarms im stren- gen Sinne eine lebensverlängernde Massnahme. Die Prognose dieses Routineeingriffes ist gut. Aber je- der Eingriff, jede Narkose, birgt ein Risiko. Trotzdem ist es sehr wahr- scheinlich, dass ich einer solchen Da ist aber auch diese Ungewissheit, dieses Geheimnis Behandlung zustimmen würde. Wenn aber bei mir eine Krebsdi- agnose gestellt wird, bin ich nicht sicher, ob ich in eine mühselige Therapie einwilligen würde. Die Vorstellung, in eine beschwerliche medizinische Mühle zu geraten, die Hoffnung auf Gesundung schürt, aber unerfüllt bleibt oder mein Leben so stark verändert, dass ich mich nicht mehr erkenne, ist mir ein Gräuel. Dieser lange, womög- lich aussichtslose Kampf würde mir das Leben zu schwer machen. Wer wünscht sich nicht, eines natürlichen Todes zu sterben? Müde und wunschlos werden und dem Übergang in die ewige Ruhe offen, sogar freudig entgegenblicken. Mit den Liebsten die letzten Tage und Nächte verbringen. Abschliessen. Adieu und Danke sagen. Den An- gehörigen Zuversicht geben, dass alles gut ist und wird. Sie durch den Prozess des Abschiednehmens begleiten. Ihnen erklären, dass der Kreis im Begriff ist, sich zu schlie- ssen und damit das Leben abrun- det. Die frohe Stunde darf schlagen. Was aber, wenn sich ein langes Leiden abzeichnet, das kaum Hoff- nung auf eine Heilung oder wenigs- tens Beschwerdefreiheit verspricht? Wenn ich unselbständig werde, nichts mehr für mich selber tun kann. Wenn ich nichts mehr ohne Hilfe unternehmen kann, was mir Freude bereitet. Wenn ich nicht mehr zur ganzheitlichen Körper- pflege fähig bin, nicht mehr selbst auf die Toilette kann. Wenn ich meinen Angehörigen, die ja mit Kin- dern und Beruf gerade die aktivste Zeit ihres Daseins erleben, fast nur noch eine Bürde bin. Wenn sie es kaum ertragen, mich leidend zu sehen und trotzdem Angst haben, mich zu verlieren … Dann möchte ich die Freiheit haben, den Kreis ak- tiv zu schliessen. Diese Möglichkeit macht mich frei und nimmt mir das Unbehagen vor der letzten Phase meines Lebens. Soll auch Ihr Porträt hier stehen? Melden Sie sich bei info@exit.ch EXIT-INFO 4.2022